THE BOYS

 

GQ-MAGAZIN / 25. Juli 2019 / Wie veröffentlicht

„The Boys“: Böse Superhelden

 

Was, wenn Superhelden ihre Macht missbrauchen? Dieser Frage widmet sich die Serie „The Boys“. Der Achtteiler von Prime Video legt seinen Fokus auf die großen Gesellschaftsthemen unserer Zeit. Unbedingt ansehen!

 

Die Welt liebt Helden mit übernatürlichen Kräften – das Superhero-Genre ist das erfolgreichste Geschäftskonzept der Filmgeschichte. Aus diesem Grund finden sich in der Top 25 der größten Blockbuster aller Zeiten auch neun Superhelden-Filme, zuletzt mit dem Neuzugang „Avengers: Endgame“, der inzwischen sogar James Camerons „Avatar“ überholt hat und damit der erfolgreichste Film aller Zeiten ist.

 

Mit „The Boys“ bringt Amazon Prime Video nun eine düstere Variation des Themas heraus: Die achtteilige Serie beleuchtet die Schattenseiten des Superheldentums und übt gleichzeitig Kritik an der kultischen Verehrung von Celebrities und der internationalen Vermarktung von berühmten Personen. Die Produzenten Eric Kripke, Evan Goldberg und Seth Rogen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die großen Gesellschaftsthemen der letzten Jahre in einen Topf zu werfen. Und das Vorhaben ist gelungen, so viel kann man schon mal verraten.

 

„The Boys“ spielt in einem alternativen Universum, in dem Superhelden für den Multi-Milliarden-Konzern Vought arbeiten. Jede Aktion wird vorab geplant und nach PR-Tauglichkeit untersucht – die Marketing-Teams sind immer sofort mit Kameras zur Stelle, sie coachen die Helden und geben ihnen sogar Texte vor, die sie von Telepromptern ablesen sollen.

 

 

The Boys versus The Seven

 

Im Fokus von Vought stehen die mächtigsten Superhelden der Erde, bekannt als „The Seven“. Die Gruppe wird von Homelander (Antony Starr) geleitet, der sich patriotisch für sein Land einsetzt. Ihm folgen Queen Maeve (Dominique McElligott), Starlight (Erin Moriarty), A-Train (Jesse T-Usher), The Deep (Chace Crawford) und Black Noir (Nathan Mitchell). Vought verkauft den Schutz von mehr als 200 weiteren Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten für hohe Summen an Städte, betreibt Merchandising und lizenziert Werbe-Kooperationen. Der Konzern monetarisiert jeden Schachzug der kostümierten Helden und natürlich vertuscht er auch Entgleisungen sowie folgenschwere Kollateralschäden, bei denen Unschuldige zu Tode kommen.

 

Dieses menschenverachtende Verhalten bringt eine gegnerische Gruppe hervor, die mit allen Kräften versucht, die Vought-Heroes zu Fall zu bringen: Da ist zunächst Hughie Campbell (Jack Quaid), der ein Trauma überwinden muss, das ihm ein Superheld zugefügt hat. Er wird rekrutiert von Billy Butcher, der von dem „Star Trek“-Star Karl Urban gespielt wird und der sich aus persönlichen Gründen an Homelander rächen will. Mother’s Milk (Laz Alonso), Frenchie (Tomer Capon) und The Female (Karen Fukuhara) kommen später dazu und vervollständigen die kleine Underground-Guerilla-Einheit mit dem Namen „The Boys“.

 

Die Handlung der Serie basiert auf der gleichnamigen Comic-Reihe von Garth Ennis und Darick Robertson, die von 2006 bis 2012 bei Wildstorm und Dynamite Entertainment veröffentlicht wurde und deren Markenzeichen explizite Gewalt und Sexualität war. Ein paar Splatter-Szenen haben es auch in die Serie geschafft: Gleich zu Beginn der Handlung wird eine Frau aus Versehen von A-Train bei Überschall-Geschwindigkeit über den Haufen gerannt. Zurück bleibt nur ein sekundenlanger Wirbelwind aus Blut und Knochen, der im nächsten Moment in sich zusammenfällt.

 

 

#Metoo und die kontroversen Themen unserer Zeit

 

Im Großen und Ganzen aber dreht sich die Story eher um die Themen Ruhm sowie die Großmachtansprüche eines Superkonzerns, der ausschließlich an Gewinnmaximierung interessiert ist. Das Gesicht dieser Firma ist eine Frau namens Madelyn Stillwell, mit dem wunderbaren Titel Senior Vice President of Hero Management, die von der Schauspielerin Elisabeth Shue (“Leaving Las Vegas”) authentisch dargestellt wird.

 

Starlight, der neuste Zugang bei Vought, hat ihren persönlichen „Harvey Weinstein“-Moment, als sie nach der Shareholder-Präsentation zum ersten Mal die Multimedia-Zentrale der Seven betritt. Sie ist allein mit The Deep und gesteht, dass sie früher als Schulmädchen in ihn verliebt gewesen ist. Im nächsten Augenblick wird sie sich bewusst, dass The Deep die Hosen herunter gelassen hat und vor ihr masturbiert. The Deep erpresst sie mit seiner Macht als wahlberechtigtes Vorstandsmitglied und im weiteren Verlauf der Handlung wird klar, dass er sie auch zum Oral-Sex gezwungen hat.

 

Die Erben von Ozymandias

 

Eigentlich steht „The Boys“ ganz in der Tradition von „Watchmen“, der großen Graphic Novel von Alan Moore und Dave Gibbons. In dem Comic leitet der Superheld Ozymandias alias Adrian Veidt einen Großkonzern, der ebenfalls Hero-Merchandising betreibt und ausschließlich seine eigenen Ziele verfolgt.Eine soziopathische „Watchmen“-Figur wie Rorschach, die zu Selbstjustiz greift und dabei kompromisslos vorgeht, findet ihren Widerhall in Billy Butcher, der zu allem entschlossen ist und der sich von einem Weltkonzern nicht in die Knie zwingen lassen will. Brillant gespielt und besetzt ist die Rolle des Billy Butcher mit dem kauzigen Karl Urban sowieso.

 

Aber auch Antony Starr aka The Homelander erinnert an berühmte Vorbilder aus dem „Watchmen“-Universum. Starr liefert eine überzeugende Performance als arroganter und selbstverliebter Superheld ab, der immer für ein Selfie zur Verfügung steht. Nicht genug, darüber hinaus fungiert der Egozentriker – dessen Kostüm wie eine Mischung aus amerikanischer Flagge und Teppich aussieht – auch bei christlichen Taufen als messianische Verkörperung von Jesus Christus.

 

„The Boys“ hat sogar eine politische Konnotation: Man könnte das narzisstische Auftreten mancher Superhelden in den Medien auch als Kritik an der propagandistischen Politik von Donald Trump ansehen. Eine Fortsetzung der Superhelden-Serie wurde auf der Comic-Con 2019 in San Diego von den Produzenten Seth Rogen und Eric Kripke bereits bestätigt.

 

„The Boys“ ist ab dem 26. Juli bei Amazon Prime Video per Stream abrufbar.

 

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Copyright / Bilder: Amazon Prime Video