MEDIENKRITIK: HART ABER FAIR

 

Meinungsvielfalt / 19.11.2021 / BLOG

Diskurskultur: Verhärtete Fronten

 

Die Autorin Svenja Flaßpöhler übernimmt bei Diskussionen häufig absichtlich eine oppositionelle Meinung. Dabei wird die Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“ oft missverstanden und sogar in eine extreme Ecke gedrängt, der sie in Wirklichkeit gar nicht angehört. Wie gut ist ihre Argumentation in Frank Plasbergs Talkrunde „Hart aber fair“? Ein Kommentar.

 

Diskussionen sind immer besser, wenn unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen – eine lebhaft geführte Diskussion ist gelebte Demokratie. Doch um so stärker ein Trend innerhalb einer Meinungsblase ist, um so schwieriger hat es die jeweilige Gegenstimme. Bei der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ spricht Moderator Frank Plasberg mit seinen Gästen über das Thema „Nur ja keinen Zwang: Ist unsere Politik zum Impfen zu feige“. Eingeladen sind Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) per Videoschalte, die Notärztin Lisa Federle, der Immunologe Professor Carsten Watzl, der Journalist Georg Mascolo und die Philosophin Svenja Flaßpöhler.

 

Flaßpöhler ist Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Dort habe sie, wie Tobias Becker in einem Porträt im Spiegel schreibt, ein „journalistisches Format entwickelt, den Hausstreit“. Sie „mag die Kontroverse mehr als den Konsens“ und habe verstanden, dass „zu einer offenen Gesellschaft auch eine offene Debatte gehöre“. Flaßpöhler hat auch in der Vergangenheit immer wieder kontroverse Einzelmeinungen geäußert, zum Beispiel in der #MeToo-Debatte – die Philosophin sieht es offenbar als ihre gesellschaftliche und demokratiestabilisierende Rolle an, in Diskussionen per se oder häufig einen alternativen Meinungspol zu bilden. In der Sendung von Plasberg gelingt ihr das leider nur mit schwächeren Argumenten, die von „Hart aber fair“ in einem Faktencheck am nächsten Tag weiter aufgeweicht werden. ‚Auch auf Twitter trenden nach der TV-Austrahlung die Hashtags #hartaberfair und #flasspoehler. Zwei Tage später wird Flaßpöhler von einem Redakteur des Tagesspiegels als „Impfskeptikerin“ bezeichnet, obwohl sie während der Sendung explizit gesagt hat, dass sie geimpft ist. Im Verlauf der Diskussion äußert sie zudem keine Skepsis gegenüber Corona-Impfungen im Allgemeinen.

 

Flaßpöhler kritisiert in der Sendung, es sei „hoch problematisch, politisches Versagen wie etwa die Schließung von Impfzentren, das Kostenpflichtigmachen von Tests und Personalmissstände im Pflegesektor nun in einem Akt grandioser Komplexitätsreduktion und -projektion auf die Menschen zu übertragen, die von ihrem Recht Gebrauch machen, sich nicht impfen zu lassen“.

 

Ihre Argumentation ist nachvollziehbar – tatsächlich hätte die Bundesregierung im Pflegebereich längst gegensteuern müssen, wie auch ein aktueller Bericht des ZDF-Magazins „Frontal“ („Die Not auf den Intensivstationen“) feststellt. Die übereilte Schließung von Impfzentren und teure Tests haben sicherlich (neben einer anhaltenden Impfskepsis) zu einer Verschärfung der Situation beigetragen. Die Politik hat – meiner persönlichen Meinung nach – außerdem mit einer Falscheinschätzung der Lage und zu großzügigen Öffnungen im Oktober die Infektionslage weiter vergrößert.

 

Flaßpöhler wehre sich auch dagegen, dass man Ungeimpfte hinstelle als „ein unterschiedsloses dummes Kollektiv“. Es gäbe da doch sehr unterschiedliche Motive.

 

Sie erwähnt eine neue Studie der Rudolf Augstein Stiftung, die ihrer Meinung nach die Einseitigkeit der Medien bei der Corona-Berichterstattung belegen soll. Carsten Reinemann, einer der Autoren der Medien-Studie (mit dem Titel „Einseitig, unkritisch, regierungsnah?“) äußert sich dazu auf Twitter. Er sei „verärgert, wie Flaßpöhler gerade in „Hart aber fair“ unsere Studie zur Berichterstattung über Corona darstelle“. In einem weiteren Tweet zitiert er eine essenzielle Passage aus der Studie: „Insgesamt nahmen die Medien gegenüber der Pandemie folglich eine eindeutig warnende Haltung ein, die man durchaus als einseitig betrachten kann. Betrachtet man diese Einseitigkeit als Problem, dann kann man dies allerding nur aus einer Position tun, die die Pandemie als eher ungefährlich oder die Maßnahmen als eher übertrieben wahrnimmt.“

 

Insgesamt gesehen sind Flaßpöhlers Argumente nicht fundiert genug und manche ihrer Vergleiche hinken – ihre Position überzeugt letztendlich nicht. Dass aber jemand die Courage hat, sich in der momentan aufgeheizten Stimmung gegen den Strom zu stellen, ist mutig und verdient Respekt. Flaßpöhler ist nicht die einzige Intellektuelle, die in letzter Zeit für öffentliche Empörung gesorgt hat. Auch der Philosoph Richard David Precht musste zuletzt nach heftiger Kritik eine skeptische Äußerung zu Corona-Impfung bei Kindern wieder relativieren.

 

Svenja Flaßpöhler kommentiert abschließend, dass sie sich darüber gefreut hätte, wenn sie noch jemand an ihrer Seite gehabt hätte, „dann wäre es ein bisschen ausgewogener gewesen“. Da hat sie Recht: Natürlich würde jede Diskussion im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk von einer stärker ausgeprägten Meinungsvielfalt profitieren. Immer die gleichen Meinungsführer einzuladen, die immer nur die Thesen ihrer jeweiligen Meinungsblase widerspiegeln, ist jedenfalls nicht förderlich für eine offene und tolerante Diskussionskultur.

 

 

Die Sendung „Hart aber fair“ vom 15.11.2021 mit dem Titel „Nur ja keinen Zwang: Ist unsere Politik beim Impfen zu feige?“ ist in der Mediathek abrufbar.

 

Svenja Flaßpöhler im Philosophie Magazin:

https://www.philomag.de/artikel/das-aschenputtel-prinzip

 

Rudolf Augstein Studie zur „Qualität journalistischer Berichterstattung in der Corona-Krise“:  https://rudolf-augstein-stiftung.de/aktuelles/wissenschaftliche-studien-zur-rolle-und-qualitaet-der-medialen-berichterstattung-in-der-corona-krise/