HUNTERS

 

GQ Magazin / 20. Februar 2020 / Wie veröffentlicht

„Hunters“ bei Amazon Prime: Auf Nazijagd in Amerika

 

Die neue Amazon-Serie mit Hollywood-Legende Al Pacino ist eine verrückte Gratwanderung zwischen Holocaust-Vergangenheit und Fiktion. Ob sie sehenswert ist? Das muss jeder selbst entscheiden.

 

Rache, Selbstjustiz und Anti-Rassismus sind als Themen momentan im Trend: Das Amazon Original „Hunters“ von Serienschöpfer David Weil ist da keine Ausnahme. Die bitterböse Verschwörungsthriller-Serie, die von Oscar-Preisträger Jordan Peele („Get Out“) produziert wurde, spielt im New York der 1970er-Jahre und schickt eine bunte Truppe von Jägern auf einen blutigen Feldzug gegen ehemals hochrangige Nazis, die in Amerika untergetaucht sind und planen, ein Viertes Reich zu gründen. Hollywood-Star und Oscar-Preisträger Al Pacino verkörpert in dem Zehnteiler den Anführer der „Hunters“ namens Meyer Offerman, die jugendliche Hauptfigur Jonah Heidelbaum wird von Logan Lerman („Percy Jackson“) dargestellt.

 

Pacino war zuletzt in Martin Scorseses „The Irishman“ zu sehen und ging bei den Academy Awards leer aus. "Hunters" ist nicht Pacinos erste Fernsehrolle: Er hat zwei Emmys mit HBO-Produktionen gewonnen, 2004 für die Mini-Serien-Adaption von „Angels in America“ und 2010 für den Film „You Don't Know Jack“, bei dem Barry Levinson Regie führte. 2013 war er außerdem bei David Mamets Biopic „Phil Spector“ mit dabei. “Hunters” ist aber seine erste Serie - anscheinend hat Pacino gewartet, bis ihm etwas besonders außergewöhnliches angeboten wird

 

Die beste Rache ist Rache

 

"Hunters" folgt dem Leben von Jonah Heidelbaum, einem jüdischen Teenager aus Brooklyn, der Zeuge wird, wie seine geliebte Safta (jüdische Großmutter), Ruth Heidelbaum (Jeannie Berlin), plötzlich von einem Unbekannten ermordet wird. Jonah trifft später auf Meyer Offerman, einen KZ-Überlebenden. „Die beste Rache ist Rache“, erklärt der Nazi-Jäger, und nach einer Weile schließt sich Jonah einer Vigilanten-Gruppe von Offerman an.

 

Die Truppe besteht außerdem aus dem technisch begabten Ehepaar Murray (Saul Rubinek) und Mindy Markowitz (Carol Kane), dem Schauspieler Lonny Flash (Josh Radnor), dem Kriegs-Veteranen Joe Torrance (Louis Ozawa), der kämpferischen Nonne Harriet (Kate Mulvany) sowie der Black-Power-Aktivistin Roxy Jones (Tiffany Boone). Gemeinsam kämpfen die Hunters gegen Altnazis wie Biff Simpson (Dylan Baker), Lena Olin als „the Colonel“ und den jugendlichen Nachwuchs namens Travis Leich, der intensiv und mit großartiger Präsenz von Greg Austin gespielt wird.

 

 

Holocaust trifft auf Grindhouse

 

„Hunters“ ist pures Pulp-Kino – eine wahnwitzige Mischung aus Comic, Pop-Oper, harter Realität und heftiger Gewalt, die in Richtung Sadismus oder sogar Torture-Porn geht. Die ersten internationalen Kritiken sind eher gemischt und es steht zur Debatte, ob David Weil den Bogen überspannt hat oder nicht. 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stellt sich immer noch die Frage, ob es legitim ist, den Holocaust als Grundmotor für erzählerische Inhalte auszubeuten.

 

Die Serie gleitet kontinuierlich ins Anekdotische ab – Szenen aus der Vergangenheit des Nazi-Terrors und trashige Sequenzen aus der Neuzeit folgen unmittelbar aufeinander. Die Macher versuchen zwar, die Geschichten aus den Konzentrationslagern sensibel zu inszenieren, doch weite Teile der Handlung bewegen sich in einem Grenzbereich aus menschlichen Abgründen und groteskem Humor, bei dem einem nicht selten das Lachen in der Kehle stecken bleibt. Eine bizarre Gratwanderung zwischen geschichtlicher Realität und Fiktion, die aber trotz allem (oder gerade deswegen) ziemlich sehenswert ist.

 

 

Revenge-Kino und geschichtliche Realität

 

Barbara Sukowa spielt in „Hunters“ eine 70er-Jahre-Version von Leni Riefenstahl, die von den Hauptprotagonisten der Jäger gezwungen wird, Exkremente zu essen. Danach wird sie per Kopfschuss liquidiert. Eine Nazi-Wissenschaftlerin wird in ihrer eigenen Dusche vergast, ein weiterer Nazi mit Taucherbrille und Klebeband erstickt und anschließend ertränkt. Alles, was die echten Verbrecher im Nationalsozialismus getan haben, alles was in deutschen Konzentrationslagern passiert ist, ist zehntausendmal schlimmer, die Skepsis gegenüber (filmisch inszenierter) Folter bleibt trotzdem bestehen.

 

David Weil verarbeitet in seiner Serie Geschichten, die ihm seine Großmutter früher erzählt hatte, wie er bei einer Veranstaltung der Television Critics Association erklärte. „Der Zweck dieser Show ist in vielerlei Hinsicht eine allegorische Geschichte, um die Parallelen zwischen den 30er- und 40er-Jahren in Europa und den 70er-Jahren in den USA und insbesondere heute mit Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu ziehen“, sagte Weil. „Diese Show stellt wirklich eine Frage. Sie lautet ‘Was machst du?’"

 

Der realgeschichtliche Hintergrund der Serie basiert teilweise auf Fakten: Nach dem zweiten Weltkrieg holten die USA (mit der „Operation Paperclip“) tatsächlich hunderte deutsche Wissenschaftler ins Land. Einer von ihnen war der Nazi-Verbrecher Hubertus Strughold, der die NASA unterstützte und der während der NS-Zeit in Dachau erforscht hatte, welche Flughöhe Menschen auszuhalten imstande sind.

 

„Hunters“ versus „Inglourious Basterds“

 

Die Ästhetik der TV-Show ist stark von Comics inspiriert, vor allem aber von Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“. Die Liste der gescheiterten Versuche von Filmemachern, die Tarantino nachäffen, ist mittlerweile endlos. Im Gegensatz zu „Hunters“ ist „Inglourious Basterds“ aber fast schon ein Meisterwerk des absurden Humors, mit großartigen Dialogen und einem begnadeten Schauspieler wie Christoph Waltz, der für seine Darstellung des Hans Landa mit den wichtigsten Filmpreisen der Welt überhäuft wurde. Tarantino besetzt deutsche Rollen zudem mit deutschsprachigen Schauspielern, David Weils Serie dagegen quillt über vor schlecht interpretierten osteuropäischen Dialekten, inklusive denen von Vollblut-Nazis, die mit Tränen in den Augen und starkem amerikanischem Akzent „Sieg Heil“ nuscheln.

 

Vielleicht sollte man noch sagen: Die ersten fünf Minuten von „Hunters“ sind furios und zeigen, welches humoristische Potential die Serie hat. Und beim „Schachbrett“-Intro, das mit hypnotischer Musik unterlegt ist, bekommt man tatsächlich jedes Mal wieder eine Gänsehaut.

 

Alle zehn Teile von „Hunters“ sind ab dem 21. Februar bei Amazon Prime Video verfügbar.

 

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Copyright / Bilder: Amazon Prime Video