KOMMENTAR: DEPP vs. HEARD

Johnny Depp & Amber Heard / Photo Credit: Harald Krichel / Gage Skidmore (Wikimedia Commons)
Johnny Depp & Amber Heard / Photo Credit: Harald Krichel / Gage Skidmore (Wikimedia Commons)

 

Depp-Heard-Prozess / 07. Juni 2022 / BLOG

Fans im Internet: Toxische Wahrheiten

 

Bei dem Verleumdungsprozess „Johnny Depp gegen Amber Heard“ haben sich Millionen Menschen vorab in den sozialen Medien ihre eigene Meinung gebildet. Der Live-Stream des amerikanischen Law & Crime-Networks hat aus dem Prozess ein globales Medienereignis gemacht. Ein Kommentar.

 

Aus juristischer Sicht steht es jetzt eins zu eins: Johnny Depp hat den Verleumdungsprozess in Virginia zumindest teilweise gewonnen; einen Prozess im Jahr 2020 gegen die Boulevardzeitung „The Sun“ jedoch verloren – seine Klage wurde von dem britischen High Court of Justice abgewiesen und Depp darf aus diesem Grund von Medien in Großbritannien weiterhin als „wife beater“ bezeichnet werden. Beide Prozesse sind allerdings nur schwer vergleichbar wegen den komplett unterschiedlichen Rechtssystemen – in England hat ein Richter das Urteil gefällt, in den USA eine Jury aus fünf Männern und zwei Frauen.

 

Nach dem Prozess ist vor dem Prozess: Die Sprecherin von Amber Heard hat bereits verkündet, dass sie gegen das Urteil Berufung einlegen will. Die öffentliche Schlammschlacht zwischen Depp und Heard könnte also noch lange weitergehen.

 

Für die Fans von Johnny Depp war das Ergebnis von Anfang an klar: Videoschnipsel aus dem live gestreamten Zivilprozess in Virginia wurden in sozialen Netzwerken millionenfach geteilt und schon vor Ende der Prozesszeit stand für die Mehrheit fest, dass Amber Heard eine Lügnerin ist. Depps Aussagen vor Gericht wurden überwiegend eine höhere Form von Glaubwürdigkeit attestiert. Aus Sicht der Fans wurde das ältere Gerichtsurteil einfach durch das Neue ersetzt und die „Gerechtigkeit“ wieder hergestellt. Auch Johnny Depp sieht sich rehabilitiert – er feierte kurz nach der Bekanntgabe des Urteils ausgelassen mit Gitarrist Jeff Beck in einem englischen Pub. Für den ehemaligen Star aus „Pirates of the Caribbean“ hat sich die Sache zumindest medial gelohnt: Innerhalb von nur sechs Wochen hat er weitere zehn Millionen Follower auf Instagram dazu gewonnen; sein Instagram-Post zum Gerichtsurteil wurde mehr als 18 Millionen Mal gelikt und eine Million Mal kommentiert. Der 58-jährige Schauspieler ist momentan wahrscheinlich der einzige Prominente auf Instagram, der trotz geringstmöglicher Aktivität ein weltweites Millionenpublikum erreichen kann. Ob sich die großen Studiochefs wieder bei Depp melden werden, wird sich noch zeigen.

 

Die Petition auf change.org, die fordert, Amber Heards Rolle aus „Aquaman 2“ zu streichen, hat inzwischen 4,5 Millionen Unterschriften erreicht. Das Internet platzt vor Memes und Clips, die sich über die Mimik der Schauspielerin lustig machen – auf TikTok hatte der Hashtag #JusticeForJohnnyDepp zeitweise 16,2 Milliarden Aufrufe, der Hashtag #JusticeForAmberHeard erreichte nur 53,2 Millionen. Auch der Instagram-Algorithmus macht fleißig mit und spült einem auch eine Woche nach dem Prozess noch täglich weitere Reels und Bilder in den Feed, in denen die Schauspielerin nicht gut wegkommt. Das Machtgefälle hat sich so überproportional Richtung Mr. Depp verschoben, dass manche MeinungsmacherInnen bereits ein Ende von #Metoo wittern.

 

Ob die Wahrheit jemals ans Licht kommen wird, ist mehr als fraglich. Bei toxischen Beziehungen ist die Ermittlung der Schuld hochkomplex, da beide Partner ja meistens eine gewisse Teilschuld haben. Wochenlange verbale Gewalt kann irgendwann eskalieren und es kommt zu Handgreiflichkeiten. Wer ist nun Täter und wer Opfer? Die Ermittlung der Wahrheit ist – wie gesagt – mehr als kompliziert.

 

Der Live-Stream des amerikanischen Law & Crime Networks während des Prozesses hat aus der juristischen Angelegenheit ein weltweites Event gemacht; eine Real-Life-Soap mit Unterhaltungswert, die vielleicht sogar indirekt die Geschworenen beeinflusst hat. Neutralität ist bei diesem medialen Dauerfeuer wohl kaum zu erwarten.

 

Ist Johnny Depp jetzt das neue männliche Vorzeigeopfer für weibliche Gewalt? Das öffentliche Gemetzel zwischen Amber Heard und Johnny Depp wird sicher schon bald in die nächste Runde gehen.

 

 

 

Photo Credits / Wikimedia Commons

Johnny Depp (c)  Harald Krichel, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

Amber Heard (c) Gage Skidmore, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons