THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS

 

GQ-MAGAZIN / 16. November 2018 / Wie veröffentlicht

"The Ballad of Buster Scruggs": Singen, reden oder sterben

 

Ein alter Goldgräber, ein wortkarger Bankräuber und weitere unglückselige Gestalten geistern durch die neue tragikomische Western-Anthologie von Ethan und Joel Coen. Der Musiker Tom Waits ist nach langer Zeit mal wieder im TV zu sehen. James Franco, Brendan Gleeson und Liam Neeson sind ebenfalls Teil des großartig besetzten Ensembles. Aber wie sehenswert ist der Film der beiden Oscarpreisträger?

 

Ein Buch mit sechs Kapiteln: Die Coen-Brüder haben einen Anthologie-Film gedreht. In „The Ballad of Buster Scruggs“ erzählen die Hollywood-Regisseure in ihrer ersten Netflix-Produktion vom rauen Wilden Westen und den Anfängen der Vereinigten Staaten. Die Handlung ist nicht verknüpft – den losen Rahmen bilden Kapitelüberschriften, die jeweils am Beginn der einsetzenden Handlung stehen.

 

Western sind für Ethan und Joel Coen eigentlich nichts Neues: In „True Grit“ (2010) schickten die Brüder bereits Hailee Steinfeld und Jeff Bridges durch das gefährliche Hinterland von New Mexico und Texas. Und die Verfilmung von Cormac McCarthys Roman „No Country For Old Men“ könnte man durchaus als Neo-Western bezeichnen, der uramerikanische Themen und Mythen zitiert.

 

Neue Gestalten im Coen-Brothers-Universum

 

Mit „The Ballad of Buster Scruggs“ haben die Coens nun einen Film erschaffen, in dem archetypische Figuren des Western-Genres parodiert werden: Da ist zum Beispiel der Revolverheld Buster Scruggs in der ersten (titelgebenden) Episode, eine ständig quasselnde Nervensäge, die von Tim Blake Nelson gespielt wird. Auffällig gekleidet, mit weißem Hut und weißem Pferd, reitet Scruggs singend durch die Wüste, bevor er im Saloon sein erstes Opfer erledigt. Diese Episode beginnt wie eine Mischung aus absurdem Musical und Cowboy-Klischee: Die Wild-West-Kulisse erinnert an die ersten Western der 30er-Jahre, mit Wolken und Bergen in der Ferne, die wie gemalt aussehen. Kaum hat Scruggs eine weitere Person in die ewigen Jagdgründe befördert, taucht am Horizont ein einsamer Reiter auf und es kommt zum finalen tödlichen Duell.

 

In „Near Algodones“, der kürzesten Geschichte der Reihe, bilden eine mitten im Nirgendwo stehende Bank und ein Bankräuber das stilisierte Szenario für die nächste Episode. James Franco ist hier in der Rolle eines ungeschickten, schweigsamen Gangsters zu sehen, der schnell am Galgen baumelt, dann aber wieder befreit wird. Der Running Gag – eine Quasselstrippe trifft auf einen Wortkargen – kommt auch in diesem und in allen weiteren Teilen vor. Das ist zuerst noch lustig, hat sich aber relativ schnell erschöpft und wirkt dann nur noch wie die Wiederholung einer eher schwächeren Idee.

 

 

Ein Wiedersehen mit Tom Waits

 

In der düsteren Episode „Meal Ticket“ kommt der grausame schwarze Humor, der die Coens berühmt gemacht hat, deutlicher zum Vorschein: Ein Schausteller (Liam Neeson) fährt mit seinem Planwagen durchs Land. Seine Attraktion: Ein junger, bleichgeschminkter Schauspieler ohne Gliedmaßen, der mit hoher Stimme Shelley's “Oszymandias“, Shakespeares „Sonnet 29“ und Lincolns Gettysburg-Rede rezitiert. Zwischen den Auftritten, die von immer weniger Zuschauern besucht werden, füttert der Schausteller den armen Kerl oder besucht mit ihm ein Hurenhaus. Als der Schausteller eine bessere Attraktion erwirbt, muss der junge Mann erstaunt dabei zusehen, wie sein eigenes Verschwinden auf zynische Weise vorgeplant wird. So traurig und brutal diese Szene auch ist, treibt sie einem auch im Nachhinein noch ein diabolisches Grinsen ins Gesicht.

 

Die nächste, vielleicht beste Geschichte, ist einem besonderen Schauspieler gewidmet: Tom Waits. In „All Gold Canyon“ spielt der 68-jährige Musiker einen vergreisten Goldgräber, der unaufhörlich vor sich hin schwadroniert und monologisiert. In einem Bilderbuchtal mit einem Wildbach gräbt er sich wie ein Maulwurf durch die grünen Wiesen. Die Natur, tanzende Schmetterlinge und ein Hirsch, bilden den Hintergrund für diese fast biblische Szene. Ein humoristisches und nahezu zivilisationskritisches Highlight ist hier, wie der alte Kauz beim Eierdiebstahl von einer Eule beobachtet wird, und schuldbewusst drei Eier zurücklegt. Die Gesetze der Tragikomödie führen aber auch bei dieser mythologischen Erzählung wieder zu einem Ende, in dem ein weiterer Unglückseliger ins Gras beißen muss.

 

Grotesk, düster und sarkastisch

 

Mit „The Ballad of Buster Scruggs“ tauchen die Coens ein in die Welt des Episodenfilms, einem Genre, in dem sich nur wenige Werke an der Spitze behaupten können. Darunter „Mystery Train“ (1989) und „Night on Earth“ (1991) von Jim Jarmusch, oder „4 Rooms“ (1995) von Tarantino, Rodriguez, Anders und Rockwell. Die einzelnen Episoden des Westerns sind tragikomisch, grotesk, bitter und sarkastisch, aber auch streckenweise banal – was vielleicht an dem Format liegt.

 

Die großartige Besetzung und die vielen liebevoll inszenierten Details sind, wie immer bei den Coens, sehr sehenswert. Was Ethan und Joel hier machen, ist auf hohem Niveau – was fehlt ist eine noch heftigere Prise Fatalismus und Ironie, oder wenigstens eine außergewöhnliche Geschichte, die sich einem dauerhaft ins Gedächtnis brennt. Zeitlose Meisterwerke wie „No Country For Old Men“ oder „The Big Lebowski“ gelingen eben auch den beiden Hollywood-Legenden nicht in jedem Jahr.

 

„The Ballad of Buster Scruggs“ läuft ab 16. November auf Netflix.

 

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